Begleitete Feldforschung und die Produktion ethnographischen Wissens
Logistische Überlegungen, Fragen der Finanzierung, Gesundheit und Sicherheit sind sicherlich zunächst einmal ganz oben auf der Agenda von Forschenden, die eine Feldforschung in Begleitung von Familienmitgliedern planen. Begleitete Feldforschung hat aber auch Einfluss auf den Feldforschungsprozess, auf unsere Erfahrungen im Feld und schließlich auch auf unsere Erkenntnisprozesse. Das ist an sich überhaupt nichts Ungewöhnliches, denn Positionalität von Forschenden, ihre Eigenschaften und soziale Einbettung sind schon länger mit Blick auf ihren Einfluss auf die ethnographische Feldforschung reflektiert worden – allerdings spielte begleitete Feldforschung in diesen Debatten kaum eine Rolle.
Dabei zeigt begleitete Feldforschung auf:
- Jenseits des Einzelforschers: Wie hartnäckig sich der Mythos vom allein in die Ferne aufbrechenden Forschers (sic) hält, wird offensichtlich, wenn man sieht, wie selten in Ethnographien die familiäre Eingebundenheit der Forschenden reflektiert wird. Der familiäre oder maritale Status und das soziale Alter spielen jedoch – wie auch Gender – eine sehr wichtige Rolle mit Blick darauf, zu welchen Innensichten, Informationen und Praktiken die forschende Person Zugang hat. Diese Faktoren beeinflussen auch, auf welche Themen die Forscherin stößt, welche Perspektiven sie entwickelt und nicht zuletzt welche Fragen sie stellt oder nicht. Begleitete Forschung stößt viele Forschende besonders eindrücklich darauf, wie sehr ethnographische Erkenntnisgewinnung durch relationale Aspekte beeinflusst wird.
- Normen, insbesondere solche von angemessenem Verhalten von Familienmitgliedern, treten in begleiteter Feldforschung besonders deutlich zu Tage. Forschung in Begleitung von Angehörigen, insbesondere Kindern, bedeutet, mit einigem an sozialem Kommentar bzgl Verhalten, Erziehung etc konfrontiert zu sein und einiges über implizite Normen und tacit knowledge zu lernen. Gerade Abweichungen in den Familienkonstellationen und Verhaltenserwartungen zwischen Forscherin und ihren Gesprächspartnerinnen im Feld können sich als sehr aufschlussreich herausstellen. Wie werden diese Differenzen ausgehandelt? Diese Aushandlungsmöglichkeit kann auf deutliche Grenzen stoßen, etwa wenn ein bestimmter Reproduktionsstatus Zugang zu Gesprächspartner*innen und/oder Wissen grundsätzlich ausschließt oder Paarkonstellationen im Forschungskontext nicht akzeptiert sind. Die Anpassung an das Feld impliziert womöglich Veränderungen der gesamten Familie, die selbst einiges über das Feld aussagen können.
- Abwesenheiten in Ethnographien: man sieht es Ethnographien oft nicht an, dass der Ethnograph/die Ethnographin gar nicht alleine im Feld war (s.o.), sondern begleitet von Partner*in und Kindern war. Das heißt nicht, dass Letztgenannte und der familiäre Status des Forschers nicht relevant für die Forschung waren. Der Hauptgrund für die bemerkenswerte Abwesenheit vom familiären Umfeld der Forschenden scheint eher in der „modernen“ Grenzziehung des privaten Bereichs des Familienlebens und dem öffentlichen Bereich (hier Wissenschaft) zu liegen. Das ist nun abstrakt gesehen keine Neuigkeit, aber die Beharrlichkeit, mit der die An- und Abwesenheit von sozialen Charakteristika und Familienmitgliedern in Ethnographien sorgfältig gestaltet wird (generell zugunsten der Abwesenheit), könnte uns dazu veranlassen, darüber nachzudenken, welche außerethnographischen Faktoren die Gestaltung von Ethnographien beeinflussen und wie diese Gender- und Familiennormen reproduzieren. Darüber hinaus könnten wir diese Beobachtung als Einladung verstehen, mit ethnographischen Darstellungsweisen zu experimentieren.
Weiterführende Literatur:
Braukmann, Fabienne, Haug, Michaela, Katja Metzmacher und Rosalie Stolz (eds, 2021). Being a Parent in the Field. Implications and Challenges of Accompanied Fieldwork. Bielefeld: Transcript.
Brown, Tamara Mose and Joanna Dreby (eds, 2013). Family and Work in Everyday Ethography. Philadelphia: Temple University Press.
Cassell, Joan (ed, 1987). Children in the Field. Anthropological Experiences. Philadelphia: Temple University Press.
Cornet, Candice and Tami Blumenfield (eds, 2016). Doing Fieldwork in China…with Kids! The Dynamics of Accompanied Fieldwork in the People’s Republic. Copenhagen: NIAS Press.
Flinn, Juliana, Marshall, Leslie B. and Jocelyn Armstrong (eds, 1998). Fieldwork and Families. Constructing New Models for Ethnographic Research. Honolulu: University Hawai’i Press.
Gottlieb, Alma (1995). “Beyond the Lonely Anthropologist. Collaboration in Re- search and Writing.” American Anthropologist 97(1): 21–26.